ALTE HÜTE ROSTEN SCHLECHT
oder
 


(MEIN LEBEN MIT
)
YMA SUMAC
(1922 - 2008)
 

- überarbeitete Fassung anläßlich der erstmaligen Ausstrahlung
des kompletten Beitrages im Rahmen der Sendereihe
SCHLAMPENREPORT DELUXE
am 26.03.2006 auf dem Offenen Kanal Berlin  -


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(Musik: AMOR INDIO)
 

Jeder Schwule vergöttert mindestens eine Diva. Dies ist selbstverständlich keine Tatsache.

Aber sollte sich die Diva die Mühe machen, sich mal ihr Publikum anzusehen, würde sie entdecken, daß es aus einem wesentlich höheren Anteil von Schwulen besteht als vergleichsweise das Publikum von Herbert Grönemeyer oder U2 ... Woran liegt das? Eine mögliche Erklärung liefert die Tatsache, daß Diven ein wenig skurril wirken, daß bei ihnen irgendetwas nicht zusammenpaßt, ihr Erscheinungsbild ist sonderbar - sowohl, was das Aussehen wie auch das Verhalten betrifft. Gelegentlich findet man es zum Lachen. Es ähnelt dem Phänomen, wie man sich selber schief und daneben fühlt, ab und zu.

Einen treffenderen Ausdruck für dieses Gefühl "schräg, schief, daneben" zu finden, ist unnötig. Es wäre ein Wort, das meinen persönlichen Zustand in Bezug auf jenes post-postmoderne Zeitalter beschriebe (ein Zeitalter, welchem ich der Einfachheit halber die Bezeichnung Hyperinformativismus verleihe), aber ich suche ja nicht mehr danach ...

Eine sehr ähnliche Erklärung, warum die Schwulen all diese Diven lieben, lautet: die Diva ist, wie es die Amerikaner nennen, "camp". Allerdings kann ich diese Simplifizierung einfach nicht mehr ertragen. Das Wort ist schwer ins Deutsche zu übersetzen mit "so schlecht, daß es schon wieder gut ist" ... Die deutschen Schwulen verwenden heutzutage häufig den Ausdruck "camp", wie viele Anglizismen. Doch sind sie sich der Subtilitäten und Nuancen auch bewußt, die der Ausdruck "camp" impliziert? Ich meine, ich hoffe doch sehr, daß Nuancierungen und Subtiles durch den Ausdruck "camp" impliziert werden. Ich las das Wort sogar in einem Artikel des brillianten Popkulturwissenschaftlers Diedrich Diederichsen, und die gute Susan Sontag schrieb einen bekannten Essay über das Thema "camp", allerdings bezeichnete sie von ihrem damaligen Stand- und Zeitpunkt aus einige Dinge als "camp", die heutzutage definitiv nicht mehr camp sind.

Es ist gar nicht unbedingt die Frage, ob man den Zustand der Homosexualität überhaupt umfassend erörtern sollte (eine subkulturelle homosexuelle Identität begann erst in den letzten zweihundert Jahren zu entstehen; vorher gab es zwar "homosexuelle" Handlungen, doch waren diese lediglich eine Verhaltensform). Könnte man den Zustand der Homosexualität zusammenfassend beschreiben, dann sicherlich nicht mit dem Wort "camp". Und sicherlich nicht als "Barbra-Streisand-Fan".

Noch nicht.
(Musik: NO ES VIDA)
*


Es gab - oder gibt - eine Form von Ikonismus definitiv schwulenspezifischer Natur. Der frühere Titanic-Kolummnist und frühere Foyer-des-Arts-Sänger Max Goldt bezeichnete diesen Ikonismus  als - ich zitiere - "... die Verehrung irgendwelcher dummer, alter Weiber ..." Da er selber schwul ist, sollte der heterosexuelle Leser einfach mal davon ausgehen, daß Max weiß, wovon er spricht. Goldt sah diesen Ikonismus sogar als das Hauptmerkmal von Homosexualität an, bevor er absurderweise selber ein Objekt schwuler Ikonisierung wurde, aber lassen wir das (das Jahr '91 liegt ja auch schon wieder ein Weilchen zurück).

Wen haben wir denn bisher auf unserer Liste? Da sind u.a. die Golden Girls, Rosenstolz, Marianne Rosenberg, Hildegard Knef und und und ... (Leander, Dietrich, Mira, Haag, Hagen, Frost, Dee, Streisand, International, Marjahn, Kerner (gemeint ist Nena), Thumser (gemeint ist Gert), Fischer (gemeint sind Tim oder Pips oder Kim) und Merkel bzw. Madonna) . Sie sind allgemein üblich, gewissermaßen Standardverehrung. Nicht zählen tun die No Angels oder Jeannette. Nena zählt auch nicht, und Nico auch nicht. Fragen Sie mich nicht.

Nun, bislang habe ich bloß die Homosexuelle Standardverehrung aufgelistet.

Da diese Formen von Homosexualität in den späten Neunzigern und frühen Nullern aus der Mode kamen, versteifen sich die Schwulen zunehmend auf den sog. Hardcore-Ikonismus. D.h. die Schwulen, die anders sein wollen als die anderen Schwulen, suchen sich wesentlich speziellere Persönlichkeiten aus und heben sie auf den Sockel der Diven-Verehrung, ganz nach dem Motto, "Ätsch, die verehre ich, und niemand sonst". Und wenn man dann jemanden trifft, der doch die gleiche Ikone verehrt, dann ist die gemeinsame Reverenz ein verbindendes Element, dann zeigt sich eine Seelenverwandtschaft seltener Art, als hätte man einen besonderen Freund gefunden. Für ältere Schwule ab 30 gehört z.B. Juliette Greco zu diesem Kreis, oder Marianne Faithfull, die Einstürzenden Neubauten, Diamanda Galas, Meredith Monk, sowie meine neuesten Errungenschaften Caetano Veloso und Lila Downs. Laurie Anderson hat es sich ja erstmal ein bißchen verscherzt bei uns mit ihrem Lob auf den Bürgermeister der Stadt New York, welches sie auf einer Live-Platte vom September des Jahres 2001 von sich gab.

Nicht alle dieser Hardcore-Ikonen sind ohne unfreiwillige Komik: Eine unbeabsichtigte Verwerfung hinsichtlich einiger dieser Künstler hat ihren eigenen Charme: Ich werde eines Tages die Angelegenheit von Luixy Toledo, Mary Schneider oder The Shaggs ansprechen, wenn auch nicht heute.
 


Zu meinen großen Hardcore-Ikonen gehörte einstmals eine peruanische Sängerin, vielleicht. Vielleicht stammte sie auch aus Brooklyn. An der Natur unserer Wirklichkeit hatte ich schon gezweifelt, seit Thommi Ohrner und Patrick Bach im Kindesalter Stars wurden und ich nicht. Doch in den letzten zehn Jahren haben sich die Beweise langsam dafür erhärtet, daß die Welt, in der wir leben, nichts anderes sein kann als das seifenopernartige Produkt einer wilden, wenn nicht gar gestörten Phantasie. Zitatverfremdung Ende.

 
Angefangen hatte alles am 26. Oktober 1990. An diesem Tag kehrte ich müde aus San Francisco zurück (siehe oben/unten)  und besuchte meinen Nachbarn, der gerade völlig ausflippte wegen einer Schallplatte, die er kurz zuvor aufgelegt hatte.

Die Musik, die erklang, war eine verrückte Mischung aus fetzigen Mambo-Rhythmen und einer überkandidelten Sängerin, die manchmal ein bißchen wie Nina Hagen klang und manchmal wie eine Opernsängerin. Total crazy. Es wurde mir erzählt von meinen Nachbarn, sie sei eine geborene Inka-Prinzessin, die mit dreizehn Jahren das Singen angefangen hatte und in den fünfziger Jahren in überfüllten Konzertsälen und in großen Tanzclubs sang, aber niemand kenne sie heute. Ihr Name: YMA SUMAC.

Die Langspielplatte hieß "MAMBO". Den wilden Tänzen meiner Nachbarn und meiner WG-Mitbewohner sah ich wohlwollend, wenn auch distanziert zu, schließlich ließ ich mich sogar zu ein bißchen Mittanzen herab, aber insgesamt habe ich wohl gedacht "Naja". Schließlich lag mein Coming Out erst wenige Monate zurück.

(Musik: MALAMBO N° 1)

 
Einen Monat später schon war ich überzeugt, einer der größten Yma-Sumac-Fans der Welt zu sein. Das kennt kaum einer außer mir, dachte ich zufrieden. Auf dem "Warmen Winter `90", einem Treffen von schwulen Jugendgruppen aus dem gesamten deutschsprachigen Raum in Berlin, erfuhr ich durch einen bezaubernden, in Heidelberg lebenden, peruanischen Jungen namens Ariel, dem sie bekannt war, daß sie noch in Peru lebt und hin und wieder in privatem Kreis auftritt, jetzt eher Oma Sumac.

Doch die Ereignisse überstürzten sich dann recht schnell: Auf einer Platte von der NDW-Band "Palais Schaumburg" aus dem Jahre 1983 entdeckte ich zu meiner Überraschung zwei Samples von der MAMBO-LP. In Berlin erwähnte ich die Künstlerin gegenüber einem Musikstudenten, der sagte: "Kenn' ich", und ehe ich begriffen hatte, hatte ich schon zur Hälfte erklärt, wer sie war. Der Musikstudent sagte daraufhin: "Kenn ich: Das ist eine amerikanische Koloratur-Sängerin namens Amy Camus aus Brooklyn; die hat bloß ihren Namen umgedreht und auf peruanisch gesungen, weil sie in der Oper so schlecht war."

Dies war meine erste Begegnung mit dem Amy-Camus-Gerücht (in etwas groteskerer Verzerrung als frührere Fassungen). Schnell folgten weitere Gerüchte.

Man hatte sie angeblich in den fünfziger Jahren mit Recht als absolutes Stimmwunder in den höchsten Tönen gelobt - ihre stimmliche Bandbreite umfaßte viereinhalb Oktaven, ihren eigenen Behauptungen zufolge sogar fünf Oktaven. Und selbst jetzt, da die peruanische Inka-Ikone weit über Siebzig Jahre alt sein soll, sollen es immer noch recht viel Oktaven für eine Sängerin sein, nämlich etwa drei.

 
Einstmals nahm sie, so wird behauptet, in Hollywood viele mysteriöse Folklore-Platten unterschiedlichster Qualität auf: manches war obskur-düster und musik-anthropologisch wie ihre fünfte Platte "JIVARO", vieles hatte aber auch nur die ethnologische Authentizität eines Tarzan-Film-Soundtracks, wie "LEGEND OF THE SUN VIRGIN" und "THE VOICE OF XTABAY". Doch ihre Stimme flog wie ein Kondor über die klassisch anmutende Orchestrierung des eigenwilligen aber brillianten Arrangeurs Les Baxter (auch wenn der Komponist der meisten Lieder Moises Vivanco war, Yma Sumacs kongenialem Partner und Ehemann). Auch Rock-Musik wie auf ihrer letzten Scheibe "MIRACLES" von 1971 und die heißesten Mambos auf ihrer berühmtesten bereits o.g. Schallplatte "MAMBO" von 1955 (in denen sie stimmlich am meisten brillierte) gehören zu ihrem abwechslungsreichen Repertoire. Mambos, die das perfekte Gegenmittel gegen all jene anderen tausendmal gehörten Samba-Langweiler aus Südamerika sein dürften (das zitiere ich, aber ich habe vergessen, woraus).
 
(Musik: JUNGLA)

 

Ich erfuhr nach und nach mehr: Sie sollte damals ein auf der ganzen Welt gefeierter Star gewesen sein, gab Konzerte selbst in Moskau. Seit drei Jahrzehnten aber schien ihr Ruhm hinüber, niemand kannte sie mehr, sie selber schien verschollen und gab keine Konzerte. Jedoch, immer noch 1991, lief im Regionalfernsehprogramm  überraschender- und seltsamerweise ein von einem deutschen Regisseur namens Günther Czernetzky gedrehter Dokumentar-Film über sie.  Dieser Film überraschte uns aber noch mehr durch die fast völlige Abwesenheit von Yma Sumac (bis auf einige alte Filmschnipsel, viele Bilder und viele Interviews mit Personen, die irgendwann einmal etwas mit ihr zu tun gehabt hatten). Der Film "Yma Sumac: Hollywoods Inkaprinzessin" tappte fast nur im Dunklen und stellte Vermutungen an über Yma Sumac, die sich geweigert hatte, darin zu erscheinen (auch hatte sie es irgendwie geschafft, Interviews mit ihrem Sohn und ihrem geschiedenen Ehemann zu verhindern - Vivanco ist übrigens leider im Jahre 1998 verstorben). Es scheint, daß Yma Sumac selber strengste Kontrolle über alle Einzelheiten ihres legendären Lebenslaufes behalten wollte: mit Prozessen mußten alle rechnen, die falsche oder richtige Details verbreiteten.

Ihre Plattenfirma Capitol Records gab sie beim Erscheinen ihrer ersten Platte als echte Inka-Prinzessin aus einem kleinen Dorf in den Anden aus, um die Verkaufszahlen durch diese Exotik zu steigern.

So ließ es mich der oben bereits erwähnte seltsame und fast belanglose Dokumentarfilm über Yma Sumac wissen. Er ließ mich auch wissen, was ich oben schon erwähnte, nämlich daß ihr Fankreis heutzutage hauptsächlich aus Schwulen besteht - für dieses Kompliment fühlte ich mich damals sehr geehrt. Der Film konnte keinerlei Klarheit bringen, wer oder was sie in Wirklichkeit war, Inkaprinzessin oder Brooklyn-Girl, nur, daß sie einen Stern auf dem Hollywood-Boulevard hat, aber wer hat das nicht, und daß sie Angst hat, daß sich der Mythos enthüllt und die Lüge eines ganzen Lebens enthüllen könnte - vielleicht gibt es gar keine Yma Sumac.

 
Zwei Wochen später bestätigten sich meine Zweifel an der Kohärenz dieser Welt. Aus Berlin hatte mich völlig ausgeflippt mein Nachbar angerufen. Am 28. Oktober 1991 - genau ein Jahr nach meiner ersten Bekanntschaft mit ihr - sollte dort Yma Sumac im Theater des Westens auftreten, auf ihrer einzigen Welt-Tournee-Station in Deutschland.

Berlin sollte die erste Station ihrer Welt-Tournee werden. Unterwegs auf dieser Tournee waren nur sie, zwei Kostüme und drei Inka-Statuen; auf die Bühne kam sie dann allerdings mit sechs deutschen  Musikern, mit denen sie angeblich vorher geprobt hatte, die aber eher in einen Jazz-Keller gepaßt hätten - obwohl der berühmte Pianist Kai Rautenberg die Kombo anführte, er, der auch schon Hildegard Knef und Brigitte Mira begleitet hat am Klavier.

Drei Viertel des Publikums waren übrigens tatsächlich die sog. "Herren mit den Ohrringen" oder die "kleinen Jungs", wie Yma liebevoll ihre heutige Hauptclientele bezeichnet. Es schien ein großer feierlicher Moment zu werden, weitab von HARDCORE-IKONISMUS, nein, sie schien tatsächlich vor einem großartigen Comeback zu stehen.

Das Konzert im Theater des Westens wurde dann tatsächlich zu einem der spektakulärsten Ereignisse des Jahrzehnts.

Mich überkam eine tiefe Ergriffenheit, eine kosmische Rührung - ich sah sie (und es schien schon zu diesem Zeitpunkt etwas anderes zu sein als der allgemein gängige Soft-Core-Ikonismus). Sie lebte, sie  erwies sich als eine real-existierende Person, und sie sang wirklich fast so wie auf ihren Platten, drei Oktaven waren es auf jeden Fall, bloß die vier-einhalbte Oktave schaffte sie wohl nicht mehr ganz so kräftig.

 
(Musik: ATAYPURA)
 
Nach einem Instrumental kam sie, nach dreißig Jahren zum ersten Mal wieder in Deutschland, in einem blau-goldenem Kostüm auf die Bühne mit dem eben gehörten Stück "ATAYPURA", einem ihrer wohl legendärsten Lieder von ihrer ersten Platte "THE VOICE OF XTABAY", und mich überkam große Rührung. Großer Jubel und Dank beim Publikum. Mit wundervoller Selbstironie freute sie sich, daß sie nach 2000 Jahren wieder einmal hier sein durfte. Es folgten einige nicht ganz so wichtige Stücke, in denen sie noch nicht so viel Stimmliches zeigte. Bei "MONTANA", einem peruanischen Wiegenlied, ist das Publikum dann begeistert, bei dem nachfolgenden Stück "LA MOLINA" dann noch mehr, es will sie gar nicht in die Pause gehen lassen, sie muß vorher noch eine Zugabe machen (was erneut "LA MOLINA" war).
 
In der zweiten Hälfte verwirrte zunächst die Instrumentalversion von "MALAMBO N° 1" durch schlechtes Gespieltwerden, sowie die Tatsache, daß Yma beim zweiten Stück "SURAY SURITA" zu spät auf die Bühne kam, fast so, als hätte sie ihren Einsatz verpaßt. Es war der Anfang vom Ende ...

Stimmlich leistete sie jetzt mehr, sie machte mehr mit ihrem tiefen "BA-UA-UA-UA-UA-UA-A-A-A", sie versuchte es aber immer noch mit der vierten Oktave, die sie früher doch noch gekonnt haben wollte; hier wirkte sie zum ersten Mal als tragische Figur, aber ansonsten sang sie immer noch so ganz genauso wie auf ihren alten Platten, wie ein älterer Konzertbesucher gerührt befand. Das eigenartige Gefühl sich überschneidender Zeitlinien ergriff mich und meine Nachbarn und WG-Mitbewohner, die alle hier bei diesem Konzert waren. Alle waren wir hier.
 
 

Im weiteren Verlauf waren die wunderschöne Opern-artige Arie "TU'CA NUN CHIAGNE!" und ein fetziges Stück, "CELEBRATE LIFE" sehr überzeugend, bei dem sie dem Orchester erstmal zeigen mußte, wie es den Rhythmus zu spielen hat (dies ein eher unprofessionelles Verhalten, aber eher von ihrer Seite aus als seitens der Musiker - langsam wurde alles etwas merkwürdig ... )

Doch plötzlich endete das Konzert mit Buh-Rufen. Yma wollte Stücke von der Mambo-LP spielen, doch entweder konnte sie sie nicht mehr, oder das Orchester war nicht eingeübt genug, zu viel Jazz. Obwohl sie ihrem Herzen nach weitersingen mochte, brach Yma das Konzert unvermittelt ab.
 

Sie erzählte uns von dem schrecklichen Auto-Unfall, bei dem sie Arme und Bein gebrochen hätte, was immer noch schmerzen sollte, und von dem schrecklichen Wetter, das ihr auf die Stimme schlug, weshalb sie nicht genügend Zeit zum Proben gehabt hatte, und daß die Musiker schon gegangen waren; es klang alles so südamerikanisch wie in "Hundert Jahre Einsamkeit" von Gabriel Garcia Marquez, einem Roman, in dem einem auch laufend solche Geschichten vorgesetzt werden.

Sie versprach, am nächsten Montag noch einmal aufzutreten, und daß dann alles perfekt sein würde. Dieses Konzert wurde jedoch von der Theaterleitung abgesagt, mit einem unverschämten Verweis auf die angebliche "körperliche Hinfälligkeit" der Sängerin !

 
Es paßte zur Legende, zum Mythos Yma Sumac; wir hatten wieder ein neues Geheimnis, etwas worüber man rätseln konnte. Sie blieb relevant. Hinterher sah ich sie am Bühnenausgang in ihren Mercedes steigen, umringt von ihren treuesten Fans und meinem völlig ausgeflippten Nachbarn und seinen Mitbewohnern; jeder versuchte in diesem Moment, ihr ein positives Gefühl zu vermitteln, doch sie war sehr verschüchtert wegen all der Menschen, und sehr mitgenommen. Und ich hatte sie als einen lebendigen Menschen gesehen.

 
(Musik: MAMBO CONFUSION)

Dieses Erlebnis entmutigte sie nicht, weiterzumachen. Die Legende geht nicht auf diese Art zu Ende. Der Stern der obskursten Diva der Welt sollte noch nicht untergehen. Sie nahm eine Maxi-CD im Disco-Sound auf - mit dem eben gehörten Stück "MAMBO CONFUSION" - , die allerdings kurz nach ihrem Erscheinen gleich wieder zurück zur Plattenfirma wanderte. Der ungewöhnliche Grund: Yma hatte bei den Neuaufnahmen auch Instrumentierungen und Vokalsamplings aus ihrem alten Stück "CHICKEN TALK" verwendet, für das sie allerdings gar nicht die Rechte besaß und auch nicht erwerben konnte (nun, wenigstens einmal war es mir zu meinen Lebzeiten vergönnt gewesen, die "brandneue Sumac" erstanden zu haben). Eine LP namens "MAMBO CONFUSION" war ebenfalls für ganz kurze Zeit im Handel erhältlich, doch es befand sich darauf kein neues Material außer dem eben erwähnten Disco-Stück. Es scheint überhaupt erstaunlich, dass es Menschen gibt, die dieses seltene Kleinod besitzen. Bin ich vielleicht auch gar nur eine Illusion? Und wenn ja, kann mich dann trotzdem jemand verklagen?
 
Doch dann - nach diesem kleineren Debakel - kam Yma Sumac kurzerhand am 22. Mai 1992 zu mir in die Meistersinger-Halle nach Nürnberg. Es sollte ihr letzter Auftritt in Deutschland werden.

An diesem Abend gab sie in Nürnberg im kleinen Saal der Meistersingerhalle vor ca. 120 Gästen das letzte Konzert ihrer Deutschlandtour. Trotz einer erneuten schweren Erkältung, die echt wirkte, wie jeder Zuhörer bemerken mußte, war sie an einigen Stellen des Konzerts in der Lage, stimmlich fast wieder die Höhen ihrer Karriere zu erreichen. Um mich herum schimpften Konzertbesucher "Olle Transuse, die kann gar nicht singen. Tremoliert nur, ihre Stimme ist ganz belegt, ihre Texte hat sie vergessen, lauter falsche Noten krächzt sie."

Es tat weh, die Stimmen zu hören, die hier lästerten ... Da stand auf der Bühne ein Mensch, und in dieser Stimme spürte der sensible Konzertbesucher die Erfahrungen und das Gefühl einer ganzen Lebensspanne. Ein ganzes Leben erschloß sich hier, da diese ergreifende Stimme zu hören war, und es schien nur natürlich, daß sie anders klang als damals zu den Höhen ihrer Karriere. Yma hatte dafür mehr Tiefe, mehr Authentizität denn je ... Hier mit dem Anspruch nach Perfektion zu kontern, war einfach unangebracht, nein, hier war absoluter HARDCORE-IKONISMUS angesagt. Alles in allem verlief das Konzert besser als in Berlin, vor allem der Schluß.

Doch ihr damaliger Manager versuchte (gerüchteweise), sich eine goldene Nase an ihr zu verdienen. Yma Sumac lebte bereits in verarmten Verhältnissen - und träumte davon, wieder den Ruhm und den Glanz verlorener Zeiten um sich zu spüren. So ließ sie sich von diesem sogenannten Herrn Manager unter Vertrag nehmen, um wieder zu Glorie & Erfolg zurückzufinden, aber dieser Vertrag hatte es in sich, denn die Manager kassierten den Großteil des Ertrages für sich.

Daß ihre Tour katastrophal endete, bedeutete auch für die Manager, mit ihr anders umzugehen. Ihr wurde kein Hotelzimmer mehr bezahlt. Selbst wenn sie gewollt hätte, sie hatte nicht das Geld für einen Rückflug. Im Sommer 1992 hieß es sogar, daß sie versuchte, mit Hilfe von Mitwohnzentralen in Berlin eine Wohnung zu finden, weil sie in Deutschland bleiben wolle. Dieses Gerücht war saftig und eines der letzten, die ich zu hören bekam. Sie verschwand aus den Feuilletons und Klatschkolummnen, sang- und klanglos, und für lange Zeit hörte kein Mensch in Deutschland etwas von ihr.

(Musik: CHUNCHO)

(Zwischenmoderation: "Das war das Stück CHUNCHO von Yma Sumacs dritter Langspielplatte bei Capitol Records, INCA TAQUI.
Stimmlich einer ihrer glanzvollsten Momente)



Jahre später hieß es, sie lebe wieder in Amerika oder in Peru oder in Spanien. Also als ob dies von Bedeutung sei. Es war stets die Unterschiedlichkeit der Gerüchte, die Yma Sumac besonders faszinierend erscheinen ließen. Die Wirklichkeit verwirrt und ernüchtert uns stets gleichermassen. Und selbst ein HARDCORE-IKONISMUS verblaßt mit der Zeit.

 
Ein Auftritt von Yma Sumac beim Internationalen Jazz-Festival in Montreal im Jahre 1997 fand wohl tatsächlich statt. Ebenfalls kein Gerücht sind die neueren CD-Veröffentlichungen, die endlich auch seltene Tracks (frühe Aufnahmen und andere Abmischungen bereits bekannter Songs) präsentieren, wie zum Beispiel die Compilation "Virgenes del Sol". Eine der letzten Musikveröffentlichungen war der Longplayer "YMA ROCKS!" (eigentlich eine Neuauflage von "MIRACLES", jedoch noch einmal überarbeitet und mit zwei bislang unveröffentlichten Titeln, die ebenfalls 1971 produziert worden waren), den man allerdings nur exclusiv über die folgende Yma Sumac website im Internet bestellen kann unter: http://www.sunvirgin.com  (bei der es sich im Übrigen anscheinend nicht um die offizielle Homepage von Yma Sumac handelt, wie mir inzwischen von anderer Seite angedeutet wurde, trotzdem sind hier äußerst hingebungsvolle Ikonisten am Werk - die etwas kommerziellere und weniger informative "offizielle website" wird am unteren Ende dieses Artikels angegeben!) ....

Auch die letzte Buchpublikation war ausnahmsweise kein Gerücht: Der Verlag Neue Kritik hat im Jahre 2001 das Buch "apropos Yma Sumac" veröffentlicht, welches ganz reizende Essays und Texte enthält, die sogar ein bißchen informativ sind, dazu eine biographische Kurzübersicht sowie eine Auswahl an bezaubernden Schwarzweiß-Photographien. Es wäre allerdings trotzdem etwas vermessen, dieses Büchlein als Biographie zu bezeichnen. Der Essay von Anna-Bianca Krause deckt sich übrigens inhaltlich mit dem gerade sich dem Ende nähernden Radiobeitrag über weite Strecken aufs Erstaunlichste. Andererseits ist es nicht wirklich allzu erstaunlich, dass die Autorin ebenfalls jenes Konzert im Theater des Westens besucht hatte ( - selbst Berlins Superstar-Dragqueen Ades Zabel war ja dort gewesen) ...  Ansonsten entstand mein Traktat aber völlig unabhängig von Krauses opulenten Verzweigungen (eine Verwandte von Reinhard Krause, der den hervorragenden SPEX-Artikel über Yma Sumac mit einem schönen Interview im Jahre 1991 schrieb?). Das Buch erneuert die Sinne, so wie Venedig die Sinne des ausgebrannten Gustav von Aschenbach zum letzten Mal belebte. Nein, der HARDCORE-IKONISMUS stirbt nie, aber selbst der hingebungsvollste Ikonist kann vor seiner seiner Leidenschaft nicht ewig bestehen, schließlich und irgendwann,  da die Zeit nicht stillsteht.

 
(Musik: YAWAR)

*

Yma Sumac hat große Tage erfahren in ihrem Leben und sensationelle Momente geschaffen. Soviel steht fest. Ihre Aufgabe, ihre Mission - sie spürte es, sie sagte es auch einmal - lag darin, in dieser chaotischen, verrückten, düsteren Zeit den Menschen etwas Freude und Glück zu bringen - und dies hat sie bis zur heutigen Zeit geschafft.

Allerdings ist die Freude, die sie bringt, oftmals nicht diejenige, welche sie beabsichtigt hatte.

*

Zusätzliche Vermerke, Datierung beginnend ab dem 06. Oktober 2005:
06.10.2005:

 

Bislang lautete der letzte Satz dieses umfassenden Traktats: "Allerdings ist die Freude, die sie bringt, oftmals nicht diejenige, welche sie beabsichtigt hatte." Dies wurde von vielen Lesern und auch meinem ehemaligen Nachbarn aus Fürth als let down bemängelt; sie fühlten sich durch den kargen Schluß etwas enttäuscht ... Ich bin gefragt worden, warum ich in meiner Haltung zu Yma Sumac zum Schluß hin so unkonkret werde, so als sei es plötzlich in keinster Weise mehr klar, ob ich denn nun noch ein treuer Hardcore-Ikonist bin oder nicht?

Ich verstehe, daß ich hierzu noch einmal genauso weit ausholen muß wie zu dem bisherigen Teil dieses Artikels, ja, eventuell noch weiter ! In den folgenden Tagen, Wochen und Monaten werde ich versuchen, meine derzeitige Haltung umfassend zu konkretisieren ! Bislang zumindest ist der HARDCORE-IKONISMUS im Laufe der Zeit nicht abgeklungen, wenn er auch keine weitere Steigerung mehr erfahren hat ...
 
 

 

Der Schluß dieses Beitrages lautet also derzeit wie folgt:


Postskriptum: Das drittletzte Gerücht!
 
In "ATAHUALPA", der neuen 72-Stunden-Oper von Philip Glass und Bob Wilson, wird die Figur der Tlascala (die weise und mit den Geistern verstorbener Könige sprechende Urgroßmutter Atahualpas) von niemand anderem als Yma Sumac dargestellt und gesungen! In der weiteren Besetzung: Ricky Martin als Atahualpa, David Bowie* als Francisco Pizarro, Lila Downs als Prinzessin Xtabay, Caetano Veloso als der Inca-Rebell Huayna, Meredith Monk und Diamanda Galas als Equinoxe Eins und Zwei (zwei Besucherinnen aus dem Katzenaugen-Nebel NGC 6543) sowie Rufus Wainwright als Diego de Almagro II., jenem rebellischen Sohn von Diego de Almagro und einer Indianerin, der im späteren Verlauf der Handlung Francisco Pizarro töten wird ...

Das Libretto zu "Atahualpa" basiert, nebenbei bemerkt, auf einer Episode des Radioessays VEXIERKLANG von Daniel E. Aldridge. Diese Sendung wurde bereits am 22. Dezember 1991 bei Radio Z. ausgestrahlt. Es wurde auch behauptet, daß der Autor des Essays mittlerweile den Librettisten, einen gewissen Nicholas E. Limansky, verklagt habe.

Ich habe inzwischen erfahren, daß es sich defintiv wirklich nur um ein Gerücht handelt!
Niemand hat irgendwen wegen irgendwas verklagt.

 
(Musik: WINOWEH)
DERZEITIGES ENDE DES RADIO-BEITRAGS







 

 
 
 
 
 

Nachtrag (und vorletztes Gerücht):

Am 24. Februar 2006 präsentierte die Formation "AUBERGE DE JEUNESSE, KYOTO" anläßlich der Eröffnung des "Daniel Emerson Aldridge Themenparks" im Établissement SOFIA (Berlin-Kreuzberg) den Song "Immortal Inka Princess", eine Hommage und Liebeserklärung an Yma Sumac.

Der Sänger der Formation (siehe Abbildung unten), der an diesem Abend leider nicht unter seinem Künstlernamen "The Prince formerly known as the Autist" angekündigt wurde, ist im Übrigen identisch mit dem Autor des gerade endenden Textes.


 
 

(THE PRINCE FORMERLY KNOWN AS THE AUTIST)

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DAS LETZTE GERÜCHT:
"ENGELSSPHÄRENGESÄNGE MIT YMA SUMAC!"

Link zum Nachruf auf Yma Sumac in der Los Angeles Times vom 3. November 2008:
Yma Sumac, 'Peruvian Songbird' with multi-octave range, dies at 86


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WEITERE LINKS VON BEDEUTUNG:


Link zu Nicholas E. Limansky, dem Autor der Biographie "YMA SUMAC - THE ART BEHIND THE  LEGEND" :
divalegacy.com

Eine weitere glamouröse Yma Sumac Website: sunvirgin.com
(diese sogar mit den Lyrics von elf Liedern ! ) 

Die offiziell authorisierte Homepage: yma-sumac.com
(
mit letzten Interviews sowie Informationen hinsichtlich letzter Konzerte, wie zum Beispiel das Hukilau Festival im Oktober 2005 in Florida




© Daniel Emerson Aldridge
 

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